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Arthur Schnitzler:

Leutnant Gustl

 

(verfasst von Wolfgang Wallner-F.
 
www.wolfgangwallnerf.com)

 

 

 

 

 

Autor: Geboren in Wien am 15. Mai 1862, gestorben 21. Oktober 1931 (Wien). Österreichischer Schriftsteller, Sohn eines Kehlkopfspezialisten, studierte Medizin, 1885 Arzt, ab 1886 im Allg. Krankenhaus dann praktischer Arzt. Bekanntschaft mit Sigmund Freud, lebt dann als freier Schriftsteller in Wien.

Als Dramatiker und Erzähler typischer Repräsentant des Wiener Impressionismus, der die dekadente großbürgerliche Gesellschaft des Wiener fin de siècle mit ihrer müden  Resignation und abgeklärten Melancholie, der graziösen Leichtigkeit einer zwischen Traum und Wirklichkeit wechselnden, verschwimmenden Konturlosigkeit und einem oft bedrückenden Lebensüberdruss und einer Todessehnsucht in entscheidenden Situationen mit glänzender psychologischer und psychoanalytischer Beobachtung, ironischer Skepsis und ethischem Relativismus darstellt. Schnitzler bevorzugt kleinere Formen (Einakter, Novellen) in der Darstellung spielerischer Situationen ohne echtes gefühlsmäßiges Engagement. Frühe Anwendung des inneren Monologs. Großer Erfolg mit dem Skandal des „Reigen“. Einer der meistgespielten deutschen Dramatiker in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

 

Werke:

 

Dramen: u.a. Anatol; Das Märchen; Liebelei; Paracelsus; Der grüne Kakadu; Das weite Land; Professor Bernhardi; Der Reigen.

 

Erzählungen und Romane: Sterben; Frau Bertha Garlan; Der weg ins Freie; Casanovas Heimfahrt; Fräulein Else; Traumnovelle; Leutnant Gustl.

 

 

Leutnant Gustl

Erzählung

(1900)

 

Wichtigste vorkommende Personen:

 

Leutnant Gustl: Leutnant des k.u.k. Offizierskorps, oberflächlich, arrogant, in seinem Innersten leicht verletzlich, hat Angst um seine gesellschaftliche Position, kein Held.

 

Bäckermeister Habetswallner: einfach direkt, da er gesellschaftlich unter Leutnant Gustl steht: nicht satisfaktionsfähig.

 

Steffi: ist anderweitig gebunden, trotzdem Verhältnis mit Leutnant Gustl.

 

 

Inhalt

 

Leutnant Gustl hat Karten für ein Konzert bekommen, die Darbietung interessiert ihn nicht und er beobachtet die Frauen seiner Umgebung und denkt an ein morgen stattfinden sollendes Duell. Nach Beendigung des Konzertes stellt sich Gustl bei der Garderobe an. Der vor ihm stehende Bäckermeister Habetswallner sagt zu Gustl: „Stoßen Sie nicht“, worauf ihm Gustl „Halten Sie das Maul“ antwortet. Der Bäckermeister greift Gustl auf seinen Säbel, will ihn auch herausziehen und beleidigt Gustl, indem er ihn flüsternd einen dummen Buben nennt. Die Worte hat zwar niemand gehört, doch Gustl ist überzeugt, jeder müsse ihm die Schande ansehen. Er hat Angst, dass jemand von dem Schmach erfährt, für ihn eine unglaubliche Ehrenbeleidigung.

Gustl kommt zu der Überzeugung, dass er sich selbst töten muss, da er durch die Handlung des Bäckers seine Ehre verloren hat. Er irrt durch die Randbezirke Wiens. Selbst wenn er selbst niemanden von dem Vorfall erzählt, vielleicht hat der Bäckermeister davon schon erzählt, Gustl wird sich nie wieder in seinem Kaffeehaus sehen lassen können, in dem auch der Bäcker verkehrt. In der Nacht landet er immer noch zu Fuß im Prater. Er setzt sich auf eine Bank und lässt im Gedanken seine Beziehungen zu Frauen, zu seinen Eltern und seiner Schwester passieren. Er hadert mit seinem Schicksal das ihm nun vorschreibt, sich früh am nächsten Tag umbringen zu müssen. Am Rückweg vom Prater am nächsten Morgen gelangt er über die Ringstraße zu seinem Kaffeehaus und beschließt, sein letztes Frühstück zu sich zu nehmen. Dort erfährt er, dass der Bäckermeister in der Nacht einem Herzschlag erlegen ist. Für Gustl ist die Welt wieder in Ordnung, da niemand von seinem Schmach erfahren wird, ist seine Ehre weiterhin unangetastet. Er empfindet es als Glück, vom Tod des Bäckermeister erfahren zu haben „..sonst hätte ich mich ganz umsonst erschossen“ .Nun kann er beruhigt dem bevorstehendem Duell entgegen sehen.

 

 

Interpretation

 

Schnitzler hat mit dieser Novelle eine realistische Studie über einen Einzelfall verfasst, dessen psychischer Zustand symptomatisch für den Zustand der Gesellschaft und des Kastenwesens des Militärs ist. Die Novelle ist auch eine Satire auf den Ehrencodex des k.u.k. Offizierskorps. Nach Veröffentlichung begann auch gegen Schnitzler ein ehrenrätliches Verfahren und er wurde 1901 seines Offizierscharakters für verlustig erklärt.

Schnitzler war der erste deutschsprachige Autor, der sich des Stilmittels des „inneren Monologs“ bediente. Die Novelle zeigt impressionistische Züge, es wird nicht das Gegenständliche geschildert, sondern das Gegenständliche ist Anlass der Empfindungen und der seelischen Regungen.

Die vertiefende Darstellung der menschlichen Psyche ist charakteristisch für die um die Jahrhundertwende einsetzende wissenschaftliche Erforschung des Unbewussten. Gleichzeitig mit Schnitzlers Leutnant Gustl erschien Sigmund Freuds „Traumdeutung“ (1900).

In der Novelle wird der Leser durch eine „liebevolle“ Sprache in Versuchung geführt, sich mit dem Helden zu identifizieren. Doch denkt Gustl bitterböse Gedanken, dadurch wird der Leser aus seiner Identifikation gerissen und in die Möglichkeit versetzt, die Handlung objektiv zu betrachten.

Charakteristisch für den Ehrencodex der k.u.k Offiziere ist, wie Schnitzler es sieht, dass diese nur dann ihre Ehre verlieren können, wenn jemand über den „Ehrenverlust“ Bescheid weiß. Da der Bäcker gesellschaftlich unter dem Leutnant steht, kommt ein Duell mit diesem nicht in Frage, es bleibt nur der Selbstmord. Leutnant Gustl lernt aus der Erfahrung nicht. Er wird weiter gedankenlos Juden diskriminieren („Überhaupt, dass sie noch immer so viel Juden zu Offizieren machen - da pfeif´ ich auf den ganzen Antisemitismus“ und sinngemäß „Es gibt Juden, denen merkt man es gar nicht an“), weiter eine konservative Haltung verfolgen („Gewiss ein Sozialist! Die Rechtsverdreher sind doch heutzutage alle Sozialisten... am liebsten möchten sie gleich das ganze Militär abschaffen; aber wenn die Chinesen über die kommen, daran denken sie nicht“). Auch hofft er sicher weiter auf einen Kriegsausbruch, denn die Aufgabe eines Militärs kann nur der Krieg sein und nicht das spielerische Üben desselben. Durch die übungshafte Erziehung beim Militär und den fehlenden Krieg sieht Gustl in seinem ganzen Leben nur ein unernstes Spiel, das seinen Charakter prägt, „außer Dienst ist er immer gemütlich“. Auch in seinem Verhalten zu Frauen wird sich sicherlich keine Änderung ergeben, er wird weiterhin nur deren Äußeres und Leichterreichbarkeit als wichtig erachten, für eine tiefere Bindung fehlt ihm die grundsätzliche Anerkennung der Frau als Mensch.

 

 

 

 

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