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Gotthold Ephraim Lessing:

Nathan der Weise

 

(verfasst von Wolfgang Wallner-F.
 
www.wolfgangwallnerf.com)

 

 

 

 

Autor:  Geboren 22. Jänner 1729 in Kamenz (Lausitz), gestorben 15. Februar 1781 in Braunschweig.

(aus Brenner/Bortenschlager: Deutsche Literaturgeschichte 1):

Sohn eines Pastors. Nach dem Besuch der Fürstenschule zu Meißen studierte er anfangs Theologie, dann Philosophie und Medizin in Leipzig. Der Verkehr mit der Neuberschen Schauspielertruppe brachte seine ersten dramatischen Versuche. Nach kurzer Rückkehr ins Vaterhaus ging er nach Berlin und machte Zeitungsarbeiten und Übersetzungen. Als Magister der freien Künste beendete er in Wittenberg seine Studien.

Als freier Schriftsteller in Berlin verkehrte er mit Mylius, dem jüdischen Philosophen Moses Mendelsohn und dem Buchhändler Nicolai, alle drei Vertreter der Aufklärung. In Leipzig lernte er Ewald von Kleist und Gleim kennen; nach Berlin zurückgekehrt, gab er die „Literaturbriefe“ heraus. Von 1760 bis 1765 arbeitete er als Sekretär des Generals Tauentzien in Breslau. Es folgte ein neuerlicher Aufenthalt in Berlin (vierter Aufenthalt). „Lakoon“ und „Minna von Barnhelm“ werden abgeschlossen. Als Dramaturg am Hamburger Nationaltheater (1767 - 1770) gab er die periodisch erscheinende „Hamburger Dramaturgie“ heraus. Eine Anstellung fand er als Bibliothekar in Wolfenbüttel. Reisen führten ihn nach Berlin, Dresden, Wien und Rom. Eine kurze, glückliche Ehe verband ihn mit der Witwe eines Freundes, Eva König. Auf einer Reise in Braunschweig ist er gestorben.

Lessing war Erforscher der Gesetzlichkeit der Künste, gab der Sprache Einfachheit und Klarheit und schuf eine mustergültige Prosa. Er verfasste im Geiste des Aristoteles deutsche Musterdramen, überwand den französischen Einfluss und machte den Weg frei für Shakespeare. Wie Gryphius behandelte er zeitgenössische Ereignisse in seiner Dichtung. Er war Vorkämpfer für die Idee der Humanität, der Bahnbrecher der klassischen Dichtung.

Nach Luther, dem Schöpfer der modernen Prosa, ist er der große Sprachmeister. Seine Sprache ist voll Aufrichtigkeit und Wahrheit, klar und einfach, kurz und knapp, kraftvoll und treffsicher im Ausdruck, von fließender Leichtigkeit und Gewandtheit, belebt durch Bilder, treffende Vergleiche, geistreiche Wortspiele und witzige Redewendungen.

Lessings Ansicht über die Schönheit der deutschen Sprache drückt sich bereits in einem Brief des Siebzehnjährigen an seine Schwester aus: „Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön“.

Der Kritiker Lessing: Durch die Neuberin kam Lessing mit dem Theater in Berührung. Er lernte in Leipzig die klassische Tragödie der Franzosen und das französische Lustspiel kennen. Mit Mendelsohn und Nicolai führte er einen eingehenden Briefwechsel über die Katharsistheorie des Aristoteles. Aus diesen Erörterungen gingen drei kritische Schriften hervor.

„Briefe, die neueste Literatur betreffend“ (1759-1765)

„Lakoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie“ (1766): Absicht zur Schaffung einer allgemeinen Ästhetik, die alle Künste umfassen sollte, beschäftigte sich aber nur mit bildender Kunst und Poesie. Verwerfung der beschreibenden Dichtung und allegorisierende Malerei. Sehr große Wirkung auf Zeitgenossen, inhaltlich überholt.

„Die Hamburger Dramaturgie“ Im Mittelpunkt steht die Tragödie. Höchste Autorität ist Aristoteles (siehe auch W.Wallner-F.: B. Brecht, episches Theater am Beispiel der „Mutter Courage“). Früher galt griechisch phobos gleich terreur, Schrecken. Lessing setzte dafür „Furcht“. Wir müssen somit den Helden bemitleiden und fürchten, dass uns dasselbe Geschick ereile. Es darf daher keine vollkommen tugendhaften oder lasterhaften Helden geben. Mitleid und Furcht findet er bei den Franzosen nicht, sondern nur die unwesentliche Beachtung der drei Einheiten: der Zeit, des Ortes und der Handlung. Voltaire und Corneille lehnt er ab, gegen Racine ist er zurückhaltend. Calderon und Lope de Vega stellt er neben Shakespeare und schätzt auch Molière. Die Wirkung der Dramaturgie war groß; alle besseren Theater hielten sich jetzt Dramaturgen.

Nathan der Weise wurde mit der Form der fünffüßigen Jamben (Blankvers) für das deutsche Drama vorbildlich.

 

 

Werke:

 

Dramen:

 

Der junge Gelehrte (Jugendwerk)

Miß Sara Sampson (1755)

Philotas (1759)

Minna von Barnhelm (1763)

Emilia Galotti (1772)

Nathan der Weise (1779)

 

Fabeln:

3 Bücher (1759). Seit Lessing verschwand die geschwätzige Fabel aus der Dichtung, und die Fabel beschränkte sich oft nur auf wenige Zeilen.

 

Epigramme

 

Prosa: u.a. Anti-Goeze (1778), Ernst und Falk, Gespräche für Freimaurer (1778-80), Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780).

 

 

 

Nathan der Weise

Dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen

 

 (1779)

 

Protagonisten:

 

Sultan Saladin

Sittah, seine Schwester

Nathan, ein reicher Jude

Recha, dessen angenommene Tochter

Daja, eine Christin, Gesellschafterin der Recha

Ein junger Tempelherr

Ein Derwisch

Der Patriarch von Jerusalem

Ein Klosterbruder u.a.

 

Ort und Zeit:

In Jerusalem, im Hause des Juden und an Saladins Hof, spätes Mittelalter.

 

Inhalt:

(nach Reclams Schauspielführer)

 

Im Hause des reichen und edelmütigen Juden Nathan ist Recha aufgewachsen, nicht ahnend, dass sie nicht seine Tochter, sondern eine Christin ist, die Nathan nach Verlust von sieben, von den Christen ermordeten Söhnen an Kindesstatt annahm. Von einer Reise zurückkehrend, erfährt Nathan von Daja, Rechas Gesellschafterin, dass Recha einer großen Gefahr entgangen ist. Bei einer Feuersbrunst wäre sie fast umgekommen, wenn nicht ein junger Tempelherr ihr zum Retter geworden wäre. Nathan sucht die Bekanntschaft des Tempelherrn, um ihm seinen Dank abzustatten. Doch dieser weicht ihm aus und lehnt eine durch Daja übermittelte Einladung in Nathans Haus ab, bis eine spätere persönliche Begegnung sie einander näher bringt. Die aufkeimende Liebe des Tempelherrn zu Recha findet endlich (am Schluss des Dramas) ihre Lösung und Erklärung in der Tatsache, dass er ihr Bruder ist, den seltsame Schicksale nach Jerusalem verschlagen hatten. Mit dieser Handlung verschlungen ist eine zweite, die an den Hof des freigebigen Sultan Saladin und seiner klugen Schwester Sittah führt. Saladin ist in Geldverlegenheiten, sucht und findet aber schließlich die Hilfe Nathans. Die Brücke für ihre Freundschaft ist in der „Ring-Parabel“ gegeben. Vom Sultan befragt, welche Religion die wahre sei, das Christentum, das Judentum oder der Islam, antwortet Nathan mit der Parabel von den drei Ringen, die einander so sehr gleichen, dass sie in ihrem Wert nicht mehr zu unterscheiden sind. So soll man auch keiner der drei Religionen den Vorzug geben. Vor Gott sind alle gleich, und diejenige ist die beste, die am meisten mit den anderen in der von Vorurteilen freien Liebe wetteifert, nicht die Religion sei entscheidend, sondern dass der Mensch nach ihr lebe und vor Gott und den Menschen angenehm erscheine.

Der Tempelherr, in Recha verliebt, erfährt, dass Recha eine an Kindes statt genommene Christin sei. In seiner Verzweiflung fragt er den Patriarchen von Jerusalem, wie ein Jude, der eine Christin erzog zu beurteilen sei. Der Patriarch fordert in jedem Fall den Tod des Juden durch das Feuer.

Zum Schluss des Werkes sind die Handlungen kunstvoll zusammengeführt. Außer der Enthüllung der Geschwisterschaft Rechas mit dem Tempelherrn stellt sich heraus, dass die beiden auch mit Sultan Saladin blutsverwandt sind. Die durch Konfessionen scheinbar getrennten sind also in Wahrheit Mitglieder einer Familie. (Ein Gebetsbuch klärt die Lage: Der Bruder des Sultans hat als Gefangener in Deutschland geheiratet. Nach dem Tode der Frau kehrt er in die Heimat zurück, mit ihm seine beiden Kinder. Bald stirbt er).

 

Interpretation

 

Die Anregung zu dem Stück bot der Streit Lessings mit Pastor Goeze nach Lessings Herausgabe von Schriften des Deisten Reimarus (Deismus=Gott habe zwar die Welt geschaffen, greift aber dann nicht mehr in sie ein), wobei es um die Frage nach der wahren Religion und ihrem Wesen ging. Für Lessing war die christliche Offenbarung nur ein Mittel zur Durchsetzung einer allgemeinen Vernunftreligion. Außerdem bezweifelte er den Besitz absoluter Wahrheit durch eine religiöse Lehre, wichtiger sei das ehrliche Streben nach der Wahrheit im Bewusstsein ihrer Unerreichbarkeit (eine typische aufklärerische Maxime). Als Lessing die Weiterführung des Disputs untersagt wurde, antwortete er mit seinem „Nathan“-Drama.

 

Ringparabel:

 

Das Motiv von den drei Ringen als Allegorie der drei Religionen gehört zum Bestand spätmittelalterlicher Geschichtensammlungen. Wie Lessing selbst angab, ist für ihn die 3. Novelle aus Giovanni Boccaccios „Decamerone“ die unmittelbare literarische Quelle. Im Decamerone geht es allerdings um Macht, die die Ringe verleihen, im Nathan um von Vorurteilen freie Liebe.

 

Charaktere:

 

Nathan trägt die Züge von Lessings Freund Moses Mendelsohn. Er ist Kaufmann und Gelehrter, ein Mann, der durch das Leben, nicht durch Bücher zum Weisen wurde. So sagt Recha: „... Mein Vater liebt die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt, zu wenig...“. Sie weiß alles nur aus seinem Munde (5.Aufzug, 6.Auftritt). Nathans Ansicht ist, dass gut handeln schwerer ist als andächtig schwärmen (1.Aufzug, 2.Auftritt). Für ihn zählt der Mensch mehr als sein religiöses Bekenntnis:

....Wir haben beide

Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind

Wir unser Volk? was heißt den Volk?

Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,

Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch

Gefunden hätte, dem es genügt, ein Mensch

Zu heißen!....

 

sagt er im 2. Aufzug, 5.Auftritt zum Tempelherrn.

Diese Lehre Lessings wird auch durch Sittah, der Schwester des Sultans deutlich (2.Aufzug, 1.Auftritt):

...Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn

Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,

Mit Menschlichkeit den Aberglauben würzt,

Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:

Weil´s Christus lehrt; weil´s Christus hat getan.-

Wohl ihnen, dass er so ein guter Mensch

Noch war! Wohl ihnen, dass sie seine Tugend

Auf Treu und Glaube nehmen können! - Doch

Was Tugend? - Seine Tugend nicht; sein Name

Soll überall verbreitet werden; soll

Die Namen aller guten Menschen schänden,

Verschlingen. Um den Namen, um den Namen

Ist ihnen nur zu tun.

 

Die Angriffe Lessings auf die Vertreter der katholischen Kirche gipfeln in der Schilderung des Patriarchen von Jerusalem. Der Tempelherr erzählt ihm eine Geschichte mit der Frage, was von einem Juden zu halten sei, der eine Christin aufgezogen hat. Auch unter allen erdenklichen Entschuldigungen und guten, menschlichen Begründungen fordert der Patriarch: „Der Jude wird verbrannt!“ Er trägt die Züge des Pastor Goeze.

Saladin erscheint hochherzig, kühn und feurig. Noblesse in Geldangelegenheiten hat er mit Lessing gemein. Recha bleibt farblos, der Tempelherr ist tapfer und edel.

Unter den drei Religionen schneidet das Christentum am ungünstigsten ab, obwohl die Humanität die gegenseitige religiöse Duldung fordert.

 

 

 

 

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