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Kommentare zur Zeitgeschichte

 

 

 

 

„Volksaufstand“ in einem armen Land

 

Der 17. Juni des Jahres 1953 ist den herrschenden Medien dieser deutschen Bundesrepublik willkommener Anlass, einmal wieder und einmal mehr an der Mär vom deutschen Unrechtsstaat DDR zu werkeln. Hilfreich dabei sind Unterlagen der Staatssicherheit und „verdienstvolle“ Zeitgenossen wie Helmut Kohl, Günter Schabowski, Wolf Biermann und Angelika Merkel sowie sonstige im Dienste der Geschichts-Klitterung stehende Professoren und Medienexperten. Verschlossen bleiben selbstverständlich die Archive der westdeutschen Geheimdienste. So entsteht ein bizarres Bild aus Lügen und Halbwahrheiten vor allem für junge ahnungslose Bürger dieses Landes, die - erzogen, in Fakten, Fakten, Fakten zu denken, aber nicht in Zusammenhängen - der Verlogenheit auf den Leim gehen.

 

In welch realer Lage die junge Demokratie der DDR 1953 war, in welch ungeheuren geistigen wie wirtschaftlichen Zugzwängen, wird fast konsequent ausgespart. Verschwiegen oder bagatellisiert wird, wie systematisch Unruhen herbeigeredet wurden. An erster Stelle damals der Sender RIAS. Der SPIEGEL, nach wie vor zuständig für die Konformierung der Intellektuellen, ist in seiner Nr. 24/2003 geradezu stolz darauf vermelden zu können, schon am 9. Juli 1952 detailliert über westdeutsche Pläne für die Machtübernahme im Osten berichtet zu haben.

 

Doch bei aller Auseinandersetzung über die Medien, gravierend war die wirtschaftliche Lage. Im SPIEGEL (Nr. 23/2003) finden sich bemerkenswerte Informationen. Dort wird nämlich in ganz anderem Zusammenhang ausgeplaudert, dass die Westmächte im Februar 1953 im sogenannten „Londoner Schuldenabkommen“ der Bundesrepublik Deutschland zur Hälfte deren milliardenschweren Auslandsschulden (fast 15 Milliarden Mark) erließen, um „Hindernisse auf dem Wege zu normalen Wirtschaftsbeziehungen zu beseitigen und dadurch einen Beitrag zur Entwicklung einer blühenden Völkergemeinschaft zu leisten...“ (Präambel). Und die DDR? Sie zahlte nach wie vor Reparationen für ganz Deutschland an die von den Faschisten zerstörte Sowjetunion – ihre wirtschaftliche Lage war dementsprechend...

 

Als Arbeiter der DDR im Juni 1953 in den Streik traten, ging es ihnen um eine gerechte Lösung der sozialen Not, nicht gegen die Regierung und schon gar nicht gegen die DDR. Nicht nur jüdische Intellektuelle, die aus aller Welt nach Deutschland zurückgekehrt und in der DDR ihre Heimat gewählt hatten, wussten, dass in der BRD im Staatsapparat und in der Justiz die alten Nazis weiter regierten.* Das wussten auch Arbeiter und Bauern, dafür hatten die Rundfunk-Kommentatoren Gerhart Eisler und Karl-Eduard von Schnitzler gesorgt. Aber die Streikenden wussten nicht, konnten es nicht wissen, wie diese alte, den Sozialisten und Kommunisten feindliche Garde um Konrad Adenauer, Hans Globke** und Reinhard Gehlen*** aus dem Westen Deutschlands über die offene Grenze hineinwirkte in die Streikbewegung, dass sie sogar aufputschende Trupps schickte. Haben etwa Arbeiter das HO-Kaufhaus am Potsdamer Platz abgefackelt? Haben Arbeiter den DDR-Minister Nuschke in seinem Auto nach Westberlin verschleppt? In den Archiven der westlichen Geheimdienste werden sich die Unterlagen finden, in wie vielen Fällen organisiert in die Prozesse im Osten Deutschlands eingegriffen worden ist. Erst wenn diese Archive offen zur Verfügung stehen, wird sich in Deutschland ein wahres Bild vom „Volksaufstand“ zeichnen lassen.

 

Alfred Schick

 

 

* Übrigens können im Jahre 2003 wirklich nur borniert reaktionäre Politiker oder „Wissenschaftler“ annehmen, dass diese Intellektuellen (u.a. Bertolt Brecht, Anna Seghers, Arnold Zweig, Friedrich Wolf), die das Willkommen durch die antifaschistische Regierung erlebt hatten, den jungen Staat DDR dem alten Regime vorgezogen hätten, in dem nach wie vor die mächtig und einflussreich waren, vor denen sie 1933 hatten fliehen müssen. Und wenn angesichts des 17.Juni 1953 heutzutage junge „Künstler“ Brecht einen Feigling schimpfen, dann zeigt das nur, wie absolut sie sich von den herrschenden Medien haben verblöden lassen.

 

**Hans Globke hatte bei den Nazis als Verwaltungsjurist im Reichsinnenministerium gearbeitet und war Mitverfasser eines offiziellen Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen. Im Laufe des Krieges arbeitete er an Bestimmungen mit, die die juristische Grundlage der Judenverfolgung und "Germanisierung" unterworfener Völker in den Ostgebieten bildeten. Nach dem Krieg machte Globke in Bonn Karriere. Kanzler Adenauer berief ihn 1953 zum Staatssekretär und einem seiner wichtigsten Mitarbeiter.

 

*** Reinhard Gehlen war ein Spionagespezialist des faschistischen Deutschlands und nach 1945 nach kurzeitigem Wirken im Dienste der Amerikaner für die Bundesrepublik Deutschland tätig. Er entwickelte die „Organisation Gehlen“ zu einem Hort der Spionage und der Diversion gegen die DDR und war schließlich von 1956 bis 1968 Präsident des Bundesnachrichtendienstes der BRD.

 

 

Notwendiger Nachtrag:

Der Gipfel der Heuchelei um den sogenannten „Volksaufstand“ ist die Scheinheiligkeit, mit der die ostdeutschen „Bundes-Bürger“ für ihre Freiheitsliebe gelobt werden und ihnen im gleichen Atemzug sowohl gerechter Lohn als auch gerechte Rente verweigert wird.