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Verfall der Kunstmittel

 

 

Nach seiner Rückkehr aus dem Exil hielt Bertolt Brecht im Mai 1951 in Leipzig eine Rede, in der er sagte: «Der schnelle Verfall der Kunstmittel unter dem Naziregime ging anscheinend nahezu unmerklich vor sich. Daß die Beschädigung an den Theatergebäuden soviel sichtbarer war als die an der Spielweise, hängt wohl damit zusammen, daß die erstere beim Zusammenbruch des Naziregimes, die letztere aber bei seinem Aufbau erfolgte.»

Heutzutage, rund fünfzig Jahre später, ist an der Spielweise in deutschen Theatern ablesbar, welch ungeheurer Verfall der Kunstmittel in Deutschland stattfindet – lange Zeit, bevor ein neuer Krieg Theater in Schutt und Asche legt.

Besonders durch das Wirken Bertolt Brechts, des großen Dramatikers und Regisseurs am Berliner Ensemble, war eine hochdifferenzierte, vieldimensionale Schauspielkunst entstanden und vor allem in der DDR gepflegt worden. Abgesehen davon, dass Ausbildung von Schauspielern grundsätzlich Voraussetzung für Berufsausübung war (wohingegen in der Bundesrepublik jede hübsche Larve sich in den Medien hochschlafen kann), wurden die Entdeckungen des Lebens wie des Menschen auf dem Theater nicht primitiv, gar fäkalisch oder pornographisch vermittelt.

Der Mensch wurde nicht als ein simpel biologisches Wesen begriffen, wie das vor tausenden von Jahren der Mimus tat, der den Gestalten aus diesem Grunde einen großen Phallus vors Geschlecht band, sondern als ein soziales Wesen. Das heißt, auf der Bühne wurden neben Kunstmitteln, die die emotionalen, die seelischen Befindlichkeiten des Menschen vermittelten, auch und primär Kunstmittel eingesetzt, die das widersprüchliche gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen szenisch machten. Brecht hatte dafür den Begriff „sozialer Gestus“ geprägt. Womit der Schauspielkunst eine neue, sie bereichernde Dimension erschlossen worden war.

Heute beherrscht kaum noch ein deutscher Regisseur diese hohe Kunst. Und im bürgerlichen Feuilleton wird sie als konventionell diffamiert. Gefeiert hingegen wird der Rückfall in den Mimus, der Einsatz primitivster Mittel. Einher damit geht die Verschleierung gesellschaftlicher Zusammenhänge, das geistige Ausliefern der Zuschauer an die anscheinend unabänderbaren Verhältnisse.

Was ist der geistige Nährboden für diesen neuerlichen Verfall der Kunstmittel? Offenbar steckt die Gesellschaft ideologisch tiefer im Faschismus, als sie wahrhaben will.

 

Alfred Schick

 

 

 

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