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29. und 30. April 2006, Halle

 

Lothar Bisky:

 

Für eine politikfähige neue Linke

Rede des Vorsitzenden der Linkspartei.PDS auf der 1. Tagung des 10. Parteitages in Halle

 

Liebe Genossinnen und Genossen, viele wurden herzlich begrüßt, ich möchte eine Begrüßung nachholen, ich begrüße die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages - liebe Petra, verehrte Gäste!

Gemeinsam mit Freundinnen und Freunden der WASG, mit Parteilosen, mit Sympathisantinnen haben wir uns auf den Weg gemacht eine gesamtdeutsche Partei links von der deutschen Sozialdemokratie aus der Taufe zu heben. Und eben das fürchten unsere politischen Gegner wie der Teufel das Weihwasser!

Wir schauen mit mehr Selbstbewusstsein auf die letzten beiden Jahre. Wir haben uns aus eigener Kraft seit der Krise 2003 wieder stabilisiert und im Jahr 2005 haben wir erstmals in der Geschichte der PDS einen leichten realen Mitgliederzuwachs erzielt. Als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten spielen wir eine aktive Rolle im Parteineubildungsprozess.

Denn die Bildung einer neuen Linken, Genossinnen und Genossen, ist die Aufgabe der Stunde und die werden wir lösen!

Meine Grüße hier aus Halle - und ich spreche da sicher auch in eurem Namen - meine Grüße aus Halle gehen an die Delegierten des Bundesparteitags der WASG nach Ludwigshafen!

Eine neue gesamtdeutsche linke Partei, die die soziale Frage im 21. Jahrhundert stellt, die sozial gerechte Antworten anbietet, die eine erfolgreiche Politik gegen Demokratieabbau und Kriegslogik entfaltet - das ist in Deutschland ein Stück längst überfälliger europäischer Normalität. Mit dieser Überzeugung stehen wir nicht allein. Diesen Anspruch haben viele der vier Millionen Wählerinnen und Wähler, die die Linke im Deutschen Bundestag wollten. Diese Hoffnung berührte Athen auf dem ersten Kongress der europäischen Linkspartei. Diese neue internationale Verantwortung ist mir in vielen Gesprächen, die ich kürzlich in Caracas, Havanna, Perugia und Stockholm hatte, ganz deutlich bewusst geworden. Wir stehen hier nicht allein. Auch andere setzen ihre Hoffnungen auf eine wachsende Linke in Deutschland. Und die Frage, welche Veränderungen man aus der Opposition oder als kleinerer Regierungspartner erreichen kann, bewegt auch unsere Schwesterparteien. Unsere Freude über das italienische Wahlergebnis verbindet sich mit der Frage, ob uns Fausto Bertinotti als Vorsitzender der europäischen Linkspartei - wie ich hoffe - erhalten bleiben kann. Wie immer die Antwort ausfallen wird: Herzlichen Glückwunsch unseren Freundinnen und Freunden von Rifondazione comunista und an Dich, lieber Fausto, und an alle, die zur Abwahl Berlusconis beigetragen haben!

Liebe Genossinnen und Genossen, die Parteineubildung ist keine Routine und alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sie ist Neuland. Deshalb müssen und wollen wir sie politisch pflegen. Und das sollten wir hier in Halle auch deutlich machen. Das erwarten viele Mitglieder und Wählerinnen und Wähler. Und ich will hier auch ganz deutlich sagen: Es wird sicher noch manche Schwierigkeit im Parteineubildungsprozess geben. Aber er hat schon und er bringt uns auch wichtige Vorteile und die sind unvergleichlich stärker als das, was wir je verlieren könnten. Wir werden mit den besten sozialdemokratischen Traditionen, mit gewerkschaftlichen Positionen, mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen - auch mit Grünen zum Beispiel - in einem neuen politischen Projekt arbeiten. Diese Unterschiede sind "Erweiterungen unserer Identität". Sie bilden das Fundament für unser gemeinsames Programm und für unsere gemeinsame Politik!

Wir, liebe Genossinnen und Genossen, wollen mit anderen einen Politikwechsel in Deutschland. Und dazu brauchen wir die Erfahrungen und Kompetenzen aller, die eine erfolgreiche neue Linke wollen! Darum lasst uns den Parteineubildungsprozess als Lernprozess organisieren. Dann wird er Menschen Mut machen, auch denen, die sich nicht an eine Partei binden, aber politisch eingreifen wollen. Ich will es ausdrücklich sagen: Sie sind bei uns willkommen.

Genossinnen und Genossen, verehrte Gäste, seit gut fünf Monaten regieren Christdemokraten und Sozialdemokraten in Großer Koalition unser Land. Manche sagen, die machen das besser als erwartet. Dazu sage ich: Was waren das nur für niedrige Erwartungen? Andere sehen eine Koalition des Stillstandes, die nichts bewegt. Denen antworte ich: Ich bin ganz froh, dass das Wahlprogramm der CDU nicht in rasantem Tempo abgearbeitet und die soziale Spaltung noch schneller vertieft wird! Doch beiden Arten von Regierungskritik setze ich entgegen: Was habt Ihr denn für Maßstäbe? Denn das ist immer eine Frage der Maßstäbe. Wäre eine gute Regierung für dieses Land nicht eine Regierung, die den sozialen Zusammenhalt stärkt? Würde eine gute Regierung nicht mit aller Kraft öffentliche Investitionen in die Ressourcen unserer Zukunft, in Bildung, Wissenschaft und nachhaltige Technologien lenken? Wäre eine gute Regierung nicht eine Regierung, die dem zügellosen und egoistischen Bereicherungstrieb des Kapitals politisch Grenzen setzte? Eine gute Regierung wäre doch um nationale und europäische Rahmenregelungen für wirtschaftliche Tätigkeiten bemüht, man würde sie an einer Politik der volkswirtschaftlichen und sozialen Vernunft erkennen. Eine gute Regierung würde die Verantwortung für die öffentliche Daseinsvorsorge übernehmen, statt die Grundversorgung z. B. mit Wasser und Energie marktmonopolistischen Bereicherungsmaschinen zu überlassen. Und, liebe Genossinnen und Genossen, eine gute Regierung für dieses Land wäre eine Regierung, die ihren internationalen Einfluss nutzte, um den wachsenden Konflikten um Rohstoffe mit friedlichen Lösungen zu begegnen. Es wäre doch eine Regierung, die den Krieg konsequent ächtete!

Ich kann nicht erkennen, dass bei der Arbeit der Koalition die Reise in diese Richtung geht. Daraus kann ich nur eine Schlussfolgerung ziehen. Diese Große Koalition ist keine gute Regierung! Erst wollte Angela Merkel Durchregieren, dann führten ihre Trippelschrittchen sie in eine Politik des Durchwurstelns. Und da verharrt sie jetzt.

Die Bundestagswahl hat bestätigt: Die Mehrheit der Bevölkerung will keine marktradikale Politik und auch keinen Sozialstaatsabbau. Nun sagt Kurt Beck, ein leistungsfähiger, Zukunft gewinnender Staat sei mit der derzeitigen Steuerquote von 20% nicht zu machen. Das ist eine grandiose Kritik an sieben Jahren SPD-geführter Regierungsarbeit. Leider ist bei Schwarz-Rot keine Besserung in Sicht, sondern eher ein Zurückrudern. Und mit dem hat Beck bereits kräftig begonnen. Matthias Platzeck beschwörte am Vorabend einer sozialdemokratischen Programmdebatte einen "vorsorgenden Sozialstaat" - und Franz Müntefering boxte die Rente mit 67 durch. Links blinken und rechts abbiegen - das kennen wir, das wollen wir nicht weiter dulden.

In der Wirtschaftspolitik gilt: Heute ein wenig verschulden, um die Konjunktur anzutreiben, morgen mit der Mehrwertsteuererhöhung wieder kräftig bremsen. Am Ende aber heißt das: mehr Geld für die Vermögenden. Denn wie lautet doch die Prognose für dieses Jahr? Die Arbeitseinkommen werden um 0,2 % steigen und die Gewinn- und Vermögenseinkommen um 7,2 %!, so der Jahreswirtschaftsbericht der Regierung. Mit anderen Worten: Die Gewinn- und Vermögenseinkommen werden 36 Mal stärker steigen als die Arbeitseinkommen. Das können und dürfen wir - und hoffentlich auch andere - sich nicht länger bieten lassen!

Genossinnen und Genossen, wir kritisieren die Bundesregierung nicht, weil sie etwas für Kinder tun will, sondern weil sie es am falschen Ende anfängt, und dabei soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Konsequent wäre es, in hohe Betreuungsquoten für Kitas und in frühkindliche Bildung zu investieren. Die Regierung will gut verdienende und besser verdienende erwerbstätige Eltern fördern, damit sie mehr Zeit und Geld für ihre noch nicht geborenen Kinder haben. Wir wollen dagegen den Anfang bei den bereits geborenen Kindern machen. Wir wollen, dass die Kinder von Arbeitslosen, die Kinder von Migrantinnen und Migranten und von anderen sozial Benachteiligten, die gleichen Chancen haben, wenn sie in die Schule kommen. Ich meine: Armut, Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung dürfen sich nicht vererben. Sie müssen bekämpft werden! Vor dieser Aufgabe versagt diese Bundesregierung. Sie macht die Starken stärker und sie vertieft die sozialen Klüfte.

Genossinnen und Genossen, das ist innenpolitisch die größte Gefahr, die von dieser Regierung ausgeht: Sie hat für ein Fünftel unserer Gesellschaft keine Perspektive: Weder die Perspektive auf Arbeit, noch die auf ein wirklich Existenz sicherndes Einkommen. Und für weitere zwei Fünftel unserer Gesellschaft heißt das: Leben und arbeiten in ungesicherten Verhältnissen, immer vom Absturz nach ganz unten bedroht. Unter diesen Bedingungen gehen soziale Produktivität und sozialer Zusammenhalt verloren. Das, liebe Genossinnen und Genossen, ist der sichere Weg, die Zukunft zu verspielen. Statt endlich die sozialen Interessen der Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen, geht von dieser Regierung eine etwas nebulöse neue "Werte-Debatte" aus. Und nicht dass ich falsch verstanden werde: Ich bin sehr dafür, über Werte und Regeln zu diskutieren, damit im Zusammenleben mehr Achtung und wechselseitiger Respekt entsteht. Innerhalb unserer Gesellschaft, wie auch zwischen den Staaten und Völkern.

Wer aber ein "Bündnis für Erziehung" ins Leben ruft, und sich ausschließlich mit den beiden christlichen Kirchen zusammen tut, der hat von den wirklichen Integrationsproblemen nichts begriffen. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht von anderen Gläubigen, das ist der Weg zurück ins Mittelalter! Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Nichts gegen die christlichen Werte, aber haben denn Atheisten keine Werte? Sind nur religiöse Menschen wertekompetent? Europa hat die Aufklärung erlebt. Manchmal habe ich den Eindruck, wir brauchen eine zweite Aufklärung. Darum sage ich: Wir demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten - und auch wir haben religiöse Menschen in unseren Reihen -, stehen zur Religionsfreiheit und wir stehen zur Trennung von Kirche und Staat. Deshalb ist es in einer offenen und demokratischen Gesellschaft immer noch die Aufgabe des Staates, die Grundregeln des Zusammenlebens in der Schule konfessionsübergreifend zu vermitteln. Das darf die Politik nicht wegdelegieren!

Genauso abenteuerlich wie das "Bündnis für Erziehung" ist die neue Debatte um "Integration". Von Schäubles Äußerung zum Potsdamer Mordanschlag will ich hier gar nicht reden. Damit hat er sich selbst bis auf die Knochen blamiert. Doch gestattet mir an dieser Stelle eine sehr persönliche Anmerkung: Ich habe nach dem Mordanschlag in Potsdam einen Aufruf mit der SPD, auch mit der CDU, gezeichnet von ihrem Landesvorsitzenden Schönbohm, unterschrieben. Und dazu stehe ich. Das war ein eindeutiger Aufruf. Umso mehr bin ich entsetzt, dass Schönbohm inzwischen erneut den Rechtsextremismus verharmlost und darüber hinaus KZ-Opfer in der Gedenkstätte in Sachsenhausen brüskiert. Das ist unerträglich für einen Innenminister.

Liebe Genossinnen und Genossen, ich will hier an die Diskussionen erinnern, die von den Problemen der Berliner "Rütli-Schule" ausgegangen sind. Die Perspektivlosigkeit von Hauptschülern ist kein auf Migrantenkinder beschränktes Phänomen, ebenso wenig wie Gewalt, soziale Verrohung und schlechte Sprachkenntnisse. Wir werden uns gegen alle Versuche der Ethnisierung von sozialen Problem stellen. Integration ist keine Einbahnstrasse. Sie beginnt mit der Aufnahmebereitschaft: Wenn absolut keine Aussicht auf Ausbildung und Arbeit, auf ein anständiges Leben auf eigenen Füßen besteht, dann ist es doch kein Wunder, wenn es an der Motivation fehlt, die Sprache zu lernen und die Regeln zu akzeptieren. Und wer dauerhaft in einem Land lebt, und dessen Sprache nicht spricht, hat es sehr schwer, das wissen wir alle. Darum kann ich nur dafür werben, schnell und gründlich die jeweilige Landessprache zu lernen. Deshalb sage ich auch: Wer Integrationsregeln aufstellen will, muss ein Konzept für mehr soziale Durchlässigkeit, für mehr soziale Aufnahmefähigkeit, für mehr Arbeit und Einkommen nicht nur in der Tasche haben. Der muss es auch ernsthaft umsetzen.

Die Linke, als soziale Opposition im Lande, stellt soziale Gerechtigkeit radikal in den Mittelpunkt. Politik muss im Kern gleichen Zugang aller zu den Grundgütern unserer Gesellschaft zu sichern. Nur so lässt sich Teilhabe und Chancengerechtigkeit herstellen. Das ist für uns zentral und unteilbar.

Und deshalb stehen wir in Opposition zur Regierungspolitik. In der Opposition sind wir in der Gefahr, nur zu sagen, was wir nicht wollen und wogegen wir sind. Wenn ich mir die Politik der Regierenden mit ihren ungereimten Entscheidungen anschaue, dann kommt es mir manchmal so vor, als würden sie eine Honigspur auslegen, der wir folgen sollen, um uns im ständigen Dagegenhalten politisch zu verlieren. Diesen Fehler begehen wir nicht! Im Gegenteil. Wir werden der Regierung sagen, was sie falsch macht und unsere Vorschläge dagegensetzen.

In diesem Sinne hat unsere Bundestagsfraktion deutlich gemacht, dass Hartz IV weg und an diese Stelle etwas Besseres her muss. Der Antrag zur Überwindung von Hartz IV enthält Vorschläge für eine soziale Grundsicherung, die diesen Namen verdient. Er stellt den Zusammenhang zwischen der Dauer der Beitragszahlung und der Dauer des Leistungsbezuges wieder her. Er macht Vorschläge, wie die Ein-Euro-Jobs in normale Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden können. Kurz und gut, der Antrag zeigt: Es gibt Alternativen, die in eine andere Entwicklungsrichtung gehen. Und diese Alternativen könnten bei entsprechendem politischen Willen morgen anfangen. Das ist ein Weg in eine andere Entwicklungsrichtung. Das ist, glaube ich, das Entscheidende. Ich habe diesen Antrag erwähnt, weil er dafür steht, dass wir auch in der parlamentarischen Arbeit die Zusammenarbeit mit den außerparlamentarischen Kräften suchen. Die Fraktion DIE LINKE hatte im Bundestag eine Anhörung zum Hartz IV- Überwindungsantrag gemacht. Mit 450 Gästen war dies die größte Anhörung, die jemals im Deutschen Bundestag stattgefunden hat. Und wir sollten uns selbst in die Pflicht nehmen, wenn wir wieder soziale Fragen in einer Anhörung erörtern.

Ich möchte hier die Rede kurz unterbrechen: Ich begrüße Peter Sodann, Bürger der Stadt Halle. Ich werde ihm über die Ermittlungen dann später ausführlich berichten.

Zurück zur Hartz-IV-Anhörung, denn sie hat schwerverdauliche Fakten zu Tage gefördert:

§                die Armut in Familien nimmt zu,

§                immer mehr Kinder sind Leid Tragende von Hartz IV und Billiglöhnen und

§                Hartz IV hat der Niedriglohnspirale eine neue Dynamik verliehen.

§               
Die Direktorin eines Arbeitsgerichts berichtete von einem dreifachen Vater, der ohne Widerspruch von heute auf morgen eine Lohnreduzierung um 20 Prozent akzeptierte. Die pure Existenzangst zwingt Menschen, auf ihre Rechte zu verzichten. Darauf hatte Katja Kipping im Bundestag hingewiesen. Die Reaktionen der Abgeordneten der Regierungsparteien drauf waren erschreckend gleichgültig. Ich meine: Diese Demütigungen müssen ein Ende haben. Hartz IV muss grundsätzlich überwunden werden.

Genossinnen und Genossen, eine solidarische Steuerpolitik, das haben wir immer gesagt, ist eine Voraussetzung für bundespolitische Vorhaben, in der Forschung und Bildung, in der Arbeitsmarkt- und der Beschäftigungspolitik, in der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen. Umsteuern, das ist wichtig, wenn soziale Sicherungssysteme solidarisch und stabil und passend für ganz unterschiedliche Lebensformen werden sollen. Natürlich müssen wir beitrags- und steuerfinanzierte Teile bei der Gesundheitsvorsorge, der Rente, der Pflege neu überdenken. Doch ohne ein sozial gerechtes Steuersystem, ohne eine höhere Steuerquote, es muss ja nicht gleich das skandinavische Niveau sein - der Weg dahin wäre schon akzeptabel, versagen alle Konzepte in der Praxis. Einen demokratischen Sozialstaat zum Nulltarif, den gibt es nicht. Diese Wahrheit sollten Politikerinnen und Politiker endlich aussprechen, statt wortreich niedrige Wahlbeteiligung klein zu reden.

Tun wir beispielsweise in der Gesundheitspolitik weiterhin so, als könnten wir die notwendigen Effizienzpotentiale immer durch Leistungskürzung erbringen und auf der anderen Seite die Pharmakonzerne schonen, dann ist irgendwann die Qualität verschwunden und die Substanz für die Umgestaltung einfach kaputt gespart. Es muss tatsächlich mehr Geld ins System fließen, doch dabei kann man nicht einfach die Reformpotentiale im System übersehen. Der Zugang zu medizinischen Leistungen muss für alle gleich sein, egal ob privat oder gesetzlich versichert. Das Privileg zur Rosinenpickerei gehört abgeschafft. Alle müssen solidarisch an der Finanzierung beteiligt sein. Das sind Prämissen einer Gesundheitsreform, einer solidarischen Bürgerversicherung. Die Auseinandersetzung um die Gesundheitsreform ist von besonderer Bedeutung. Mit der Bürgerversicherung und der Kopfpauschale liegen zwei entgegen gesetzte Finanzierungsprinzipien des Gesundheitswesens auf dem Tisch. Es geht tatsächlich um eine Richtungsentscheidung. Liebe Genossinnen und Genossen, wollen wir ein sozial gerechtes Gesundheitssystem bewahren, müssen wir es offensiv verteidigen. Und das heißt: Verändern, um soziale Gerechtigkeit zu bewahren!

Es gibt ein weiteres Feld der politischen Auseinandersetzung, das ich euch ans Herz legen will. Schwarz-Rot hat keinen Vorschlag, wie der soziale Absturz der Arbeitseinkommen aufzuhalten ist - wir haben einen Vorschlag: Wir wollen das Thema Lohndumping auf die Straßen und vor die Betriebe tragen. Wir wollen, dass der freie Fall der Löhne und Gehälter unter die Armutsgrenze aufgehalten wird! Darum werden wir mit diesem Parteitag eine Kampagne für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes starten!

Genossinnen und Genossen, die politische Strategie, nach der weitere Lohnsenkungen mehr Arbeitsplätze schaffen, ist gründlich gescheitert. Das kann auch der größte Starrkopf inzwischen einsehen. Zusammen mit den Gewerkschaften besteht die Chance, einen anständigen Mindestlohn durchzusetzen. In 18 von 25 Ländern der EU gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Es wird höchste Zeit, dass auch in Deutschland Schluss ist mit Armutslöhnen! Wo sich die Löhne im freien Fall befinden, fallen auch Arbeitsplätze weg. Wenn die Arbeitseinkommen stagnieren, stagnieren auch die Renten. Und wenn die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung abnimmt, nehmen auch die Beitragszahlungen der Krankenversicherung ab.

Genossinnen und Genossen, in sechs deutschen Städten wurden unlängst Armutstribunale von Erwerbsloseninitiativen veranstaltet. Daran nahmen auch viele Beschäftigte teil, die für Hungerlöhne arbeiten und für Mindestlöhne kämpfen.

Was ist das für eine Politik, die Achsel zuckend hinnimmt, dass der Chef der Deutschen Bank ein Jahreseinkommen hat, für das 3,8 Millionen Menschen, die zu Armutslöhnen schuften, im Schnitt 900 Jahre arbeiten müssten? Welch unglaubliche Differenz und das Wirklichkeit. Was ist das für eine Sozialdemokratie, die angesichts dieser Ungerechtigkeit einen gesetzlichen Mindestlohn von acht Euro pro Stunde untragbar findet? Es muss Schluss sein, mit staatlicher Reichtumspflege auf der einen und Lohndumping auf der anderen Seite! Wir werden, an diesem Wochenende beginnend, mit Mitgliedern der WASG die Mindestlohnkampagne starten. Der 1. Mai ist dafür das beste Datum!

Liebe Genossinnen und Genossen, unser Gemeinwesen ist in keinem guten Zustand. Öffentliche Einrichtungen und Dienste sind sanierungsbedürftig. Die öffentlichen Haushalte sind oft hoch verschuldet. Die Kommunen spüren das mehr als genug. Bei ihren Einnahmen sind sie von Land und Bund abhängig. Sie legen ihr oft ihr Tafelsilber gegen die Überschuldung und treffen Entscheidungen mit wenig Zukunft. Doch die Wahl zwischen Pest und Cholera ist ein politisches Vabanquespiel, das wir heute erklären können, aber morgen verlieren werden. Ich verstehe die Argumentation bezüglich der Woba-Verkäufe in Dresden durchaus, weder ist eine Überschuldung besonders sozialistisch, noch sind Wohnungsbestände die inmitten eines dramatischen Leerstands bewirtschaftet werden sollen, so ganz ohne Probleme. Unsere kommunalpolitischen Konferenzen in Offenbach und Sömmerda, unsere kommunalpolitischen Leitlinien haben es auf den Punkt gebracht. Denn uns ist klar: Privatisierung zu verhindern, das ist immer erst der Anfang des Erfolges. Dennoch widersetzen wir uns entschieden dem Privatisierungszwang. Es muss uns um die öffentliche Kontrolle und auch um eine effizient bewirtschaftete öffentliche Daseinsvorsorge gehen. Der Staat muss nicht alles machen, das haben wir immer gesagt. Und nicht alles macht der Staat besonders gut. Auch da muss sich vieles ändern. Nur, wir können nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Deshalb muss gelten: keine weiteren Privatisierungen öffentlichen Eigentums in diesem umfassenderen Sinn. Die Anti-Privatisierungspolitik muss eine moderne Ökonomie des Gemeinwesens im Gepäck haben. Ich denke, Genossinnen und Genossen, da sind wir mit der Debatte nicht am Ende. Und wir stehen mit diesen Fragen wirklich nicht allein. Die Sozialforen haben das Wasser längst zum Thema gemacht. Die europäische Linkspartei hat angeregt, die Energiepolitik als politischen Schwerpunkt ernst zu nehmen. Das verdanken wir auch der Initiative von Helmut Scholz. Und eines, liebe Genossinnen und Genossen, möchte ich noch anfügen: Wir haben in Dresden kommunalpolitische Leitlinien beschlossen. Lassen wir unsere Kommunalpolitiker, auch die Dresdner, nicht im Stich. Jetzt erst recht nicht, wo eine neue linke Partei von unten wächst, wo über 100 Politikerinnen und Politiker in Hessen in die kommunalen Parlamente eingezogen sind. Der Erfolg in der hessischen Kommunalwahl wiegt außerordentlich schwer. Er hat doch gezeigt, wie erfolgreich Linkspartei und WASG sein können, wenn sie in den Kommunen gemeinsam vorgehen. Wir beglückwünschen euch von diesem Parteitag aus und sind froh, dass wir auch hier in einen Erfahrungsaustausch treten können.

Genossinnen und Genossen, es ist auch an der Zeit, dass sich eine gesamtdeutsche linke Kraft bildet, damit eine deutsche Außenpolitik, die sich in militärischen Problemlösungen festgefahrenen hat, mit größerer Kraft gestoppt werden kann. Plötzlich wird der abenteuerliche Kongoeinsatz dreimal so teuer wie geplant, friedliche Rückzüge sind nicht durchdacht. Eine Mandatierung durch die UNO ist doch kein militärischer Freifahrtschein, der ohne Nachzudenken eingelöst wird. Das haben wir mit unserem NEIN zu den ISAF-Einsätzen in Afghanistan immer deutlich gemacht. An dieser Linie halten wir fest. Manchmal sehe ich die Grünen inzwischen ganz nah beim Verteidigungsminister Jung. Der denkt inzwischen laut über eine Grundgesetzänderung für die Bundeswehr im Ausland und im Innern nach. Allzu gern wird diese Sicherheitspolitik mit dem Wörtchen Realismus getarnt. Nur, liebe Genossinnen und Genossen, mir graut vor diesem Kollateral-Realismus, der uns da gepredigt wird. Die Linke verschließt sich nicht vor den Gefahren des internationalen Terrorismus. Doch wir verweigern uns einer Politik, die den Terrorismus nur füttert statt zurückdrängt. Wir verweigern uns der neuen Dogmatik, immer mehr internationale Probleme durch immer mehr Militäreinsätze in immer mehr Ländern lösen zu wollen. Diese zunehmende Militarisierung gefährdet die internationale Sicherheitsarchitektur auf Dauer, statt sie zu festigen. Längst hat die Partei der europäischen Linken eine Friedenskonferenz im Nahen Osten gefordert, mit konkreten Schritten auch unsere Bundestagsfraktion. Setzen wir auf dem Parteitag mit dem Initiativantrag zur Lage im Iran ein klares Zeichen und ich bitte Euch um die Zustimmung. Ich muss an dieser Stelle ganz klar sagen: Politisch ist nicht nur die Ächtung von zukünftigen Massenvernichtungswaffen an der Tagesordnung, sondern ihre sofortige Ächtung überhaupt.

Eine friedliche Außenpolitik braucht weder eine Grundgesetzänderung noch eine europäische Interventionsarmee.

Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe einiges angesprochen, was uns in den kommenden Monaten beschäftigen wird. Bei anderen Themen werden wir deshalb nicht nachlassen.

Die Linkspartei.PDS befindet sich mitten in einem Parteibildungsprozess mit der WASG und anderen linken Kräften. Diese Parteibildung findet in einem schwierigen politischen Umfeld statt. Wir werden als linke Kraft in dieser Gesellschaft deutlich machen: Soziale Gerechtigkeit kann man weder auf Leistungsgerechtigkeit, noch auf zukünftige Chancen reduzieren. Individuelle Freiheit braucht soziale Sicherheit und reale Chancen und mehr demokratische Teilhabe. Ansonsten bleibt Freiheit ein Geschwätz, ein Privileg derer, die sie auf Kosten anderer nutzen.

Wir haben uns aufgemacht, eine gesamtdeutsche linke Partei mit zu begründen. Für diesen Aufbruch haben wir bereits über 4 Millionen Stimmen erhalten und sind zweitstärkste Opposition im Bundestag. Wie wird die Partei aussehen, die wir bilden? Was werden wir programmatisch und strategisch ausstrahlen? Klaus Ernst und andere haben es ausgesprochen: Es geht nicht um das OB, es geht um das WIE der Parteineubildung. Und das WIE ist nicht nur ein juristischer, sondern vor allem ein politischer Akt. Eine Hauptquelle für eine neue Chance der Linken war der Bruch Vieler mit der Schröder-SPD mit seiner Politik der Agenda 2010. Es war der Bruch mit oft jahrzehntelanger Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie. Die Gründung der WASG war zugleich auch eine praktische Kritik an der PDS. Deshalb habe ich immer gesagt: In diesem Parteineubildungsprozess müssen und wollen auch wir selbst uns verändern. Beim aufeinander zugehen, bewegen sich bekanntlich alle.

Genossinnen und Genossen, das WIE und WOHIN der Veränderung, das liegt auch in unserer Hand. Nutzt die Debatte zu den programmatischen Eckpunkten! Spitzt gegenseitig Fragen und Kritik zu, um Klarheit zu bekommen, aber wahrt den Respekt für unterschiedliche Traditionen, Biografien und Sichtweisen. Berücksichtigt, wozu wir ein Programm benötigen: Es soll die neue Linke im Verhältnis zu den anderen Parteien kenntlich machen, als eine demokratische Partei, als eine plurale Partei mit unterschiedlichen Traditionen und Strömungen, als eine Partei der sozialen Gerechtigkeit und des demokratischen Sozialismus. Das Programm muss vor allem Auskunft geben, was wir wie in den nächsten fünfzehn Jahren erreichen wollen, was wir vorschlagen, wohin Deutschland und Europa 2020 gehen. In unserer Partei ist inzwischen die Debatte über die Eckpunkte in Bewegung gekommen. Nach der "antikapitalistischen Linken" hat sich eine "emanzipatorische Linke" zu Wort gemeldet, vom "Netzwerk Reformlinke" gibt es Lebenszeichen und von anderen. Ich entdecke in allen Beiträgen das Bemühen, der neuen Linken scharfe Ecken und Kanten, also Kontur und Kenntlichkeit zu geben. Doch ich bitte euch: Vergesst über die eigene Plattform nicht die Diskussion mit den anderen. Erst der Austausch führt zu einer besseren, schlagkräftigeren Linken.

Die programmatische Debatte ist auch der Ort, wo einige aktuelle Streitfragen ausgetragen werden sollten. Ich habe mit Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland gesprochen, ob sie bereit sind, sich mit unseren programmatischen Eckpunkten auseinander zu setzen. Dafür habe ich große Aufgeschlossenheit gefunden und wir werden das nutzen.

Liebe Genossinnen und Genossen, Linkspartei.PDS und WASG werden in die neue Partei ihre Grunderfahrungen, ihre geschichtlichen Auseinandersetzungen und die daraus entstandenen Identitäten einbringen. Sie werden dies tun, weil sie in einer neuen Pluralität linker Politik ein erkennbares soziales und emanzipatorisches Profil herausarbeiten und Handlungsfähigkeit herstellen wollen.

Der Kampf um Arbeitsplätze und Sozialstaatlichkeit - bestimmte das Gründungsdokument der WASG. Er trifft sich mit wesentlichen Zielen unserer Partei. Das geltende Programm der Linkspartei.PDS ist entlang einer Idee formuliert: Demokratischer Sozialismus und Menschenrechte gehören untrennbar zusammen. Individuelle Freiheit einer und eines jeden durch soziale Gleichheit und Solidarität - das ist der libertäre Grundgedanke des demokratischen Sozialismus, der Dreh- und Angelpunkt in unserem geltenden Programm. Und ich möchte an dieser Stelle an unser Statut erinnern, es empfiehlt sich wirklich als Lektüre, dort heißt es: "Ihren Zielen gemäß leben die Mitglieder aktive Toleranz, praktische Solidarität, Pluralismus und kulturvollen Meinungsstreit sowohl in den eigenen Reihen als auch beim Umgang mit demokratischen Parteien und Bewegungen im In- und Ausland." Ach, wäre das schön. In diesem Geist kämpfen wir für eine gerechte Gesellschaft, die jeder und jedem sozial gleiche Teilhabe an den Grundbedingungen eines selbstbestimmten Lebens in sozialer Sicherheit und Würde bietet. Dafür fordern wir eine tief greifende Veränderung der herrschenden Eigentums- und Machtverhältnisse ein. Arbeit und soziale Sicherheit - was kann zentraler sein! Menschenrechte, individuelle Freiheit, beruhend auf sozialer Gleichheit und Solidarität - was könnte grundlegender für eine gerechte Gesellschaft sein! Beides zusammen sollten das Profil der künftigen linken Partei bestimmen - in Frieden und im Einklang mit der natürlichen Umwelt. In jüngster Zeit gab es Anlässe, die heftige Debatten um das Verhältnis von demokratischem Sozialismus und Menschenrechten, individueller Freiheit und politischer Kultur aufbranden ließen.

Das hat zu Anträgen an unseren Parteitag (insbesondere G.2. und G.8.) geführt. Doch diese Zusammenhänge sind so elementar für das Selbstverständnis der künftigen linken Partei, dass die notwendige Verständigung darüber den Rahmen einer Sonntag-Nachmittag-Antragsdebatte überschreitet. Ich bitte deshalb die Antragstellerinnen und Antragsteller um ihre Zustimmung, dass der Parteitag diese Antragsgegenstände zu einem Schwerpunkt der nächsten Parteitagssitzung macht, und zwar im Rahmen der Diskussion über unser gemeinsames Programm für eine künftige neue Linkspartei.

Deshalb mein Vorschlag: Führen wir die Debatte über internationale Solidarität und Menschenrechte als eine programmatische Debatte. Denn, Genossinnen und Genossen, eins ist doch klar: Wir stehen für demokratische Rechte und gegen Menschenrechtsverletzungen. Helmut Scholz und ich waren Anfang April in Kuba. Wir haben die Fortsetzung unserer Zusammenarbeit in kritischer Solidarität besprochen. Wir wollen über alle anstehenden Fragen offen wie bisher sprechen, uns gegenseitig kritisch die Meinung sagen. Wir setzen uns für eine dialogische und nicht Gewalt androhende Menschenrechtspolitik ein. Wir setzen uns weiterhin für das Selbstbestimmungsrecht des kubanischen Volkes und für die Beendigung der Embargopolitik gegen Kuba ein. Und zwar eindeutig. Zur intensiveren Zusammenarbeit zählt, dass mehr Delegationen als bisher nach Kuba fahren können, um sich vor Ort sachkundig zu machen. Ausdrücklich eingeladen sind auch Kritikerinnen und Kritiker Kubas. Das finde ich gut.

Liebe Genossinnen und Genossen, manche unter euch, insbesondere vielleicht diejenigen aus Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, und Niedersachsen werden sich an dieser Stelle vielleicht fragen: Wir stehen kurz vor entscheidenden Wahlkämpfen und sollen jetzt programmatische Debatten führen? Doch offene Fragen im Parteineubildungsprozess können wir nicht auf den 18. September verschieben. Wählerinnen und Wähler in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wollen immerhin auch wissen, wer sich hinter der Linkspartei jenseits der Landesgrenzen verbirgt. In beiden Ländern kann es Wahlantritte von WASG-Landesverbänden geben. Das würde die Lage erheblich erschweren. Gleichwohl: Wir werden erfolgreiche Wahlkämpfe führen. Wir haben die Aufgabe, unsere Genossinnen und Genossen in den beiden Ländern und in Niedersachsen nach Kräften zu unterstützen. Es geht darum, ob es eine Option gibt, rot-rot fortzusetzen. Und es geht auch darum, ob Schwarz-Rot im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommt oder nicht. Denn dann können sie fast alles machen, was sie wollen, und das will ich nicht. Das ist beileibe nicht unwichtig. Rot-Rote Politik ist klar unterscheidbar von Schwarz-Rot und Rot-Grün. Da muss man nur die Ausführungsvorschriften für Hartz IV, die Integrationspolitik, Umwelt- und Beschäftigungspolitik der Länder nebeneinander legen. In der Koalition mit uns treten andere Seiten der SPD in den Vordergrund als im Bündnis mit den Grünen oder der CDU. Das sollten wir stärken. Wir sollten es der SPD in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls nicht leicht machen, in die Arme der Schwarzen zu sinken. Und nicht zuletzt sage ich: Mit unserem Gestaltungsanspruch haben wir wirklich erfolgreiche Wahlkämpfe geführt. Zuletzt hier in Sachsen-Anhalt wo wir jüngst die besten Wahlergebnisse in der PDS Geschichte erzielt haben. Darüber freue ich mich und gratuliere Matthias und Wulf und allen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern der Linkspartei und den Unterstützern in der WASG für dieses gute Ergebnis. In diesem Sinne hoffe ich, dass es in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auch nach dem 17. September die Chance gibt, Koalitionsgespräche zu führen und zu einem politisch guten Ergebnis zu kommen. Und das heißt nie: Regierungsbeteiligung oder Opposition - jeweils - um jeden Preis. Da geht es um das, was man inhaltlich vereinbaren und durchsetzen kann, in Regierung oder in Opposition. Darüber hinaus möchte ich den Blick auf die Wahl in Bremen 2007 lenken und auf die anderen Kommunalwahlen. Vielleicht schaffen wir die 5%-Hürde. Dort könnten wir gemeinsam als Linke antreten und unsere Chancen richtig nutzen.

Genossinnen und Genossen, wir wählen heute und morgen einen neuen Parteivorstand, der den Parteibildungsprozess voran bringen soll. Wir stellen damit zugleich die Weichen, für eine gesamtdeutsche linke Partei, die man an ihrer Politik erkennt. Dazu gehört auch die Wahl wichtiger Gremien und der Delegierten zum nächsten Kongress der Partei der Europäischen Linken. Wir brauchen Persönlichkeiten im neuen Parteivorstand, die Dialoge organisieren können, die Politikfähigkeit in Kooperation mit der Bundestagfraktion, der EP-Gruppe und den Ländern und Kreisen kooperativ herstellen. Zumal mit unserer gewachsenen Stärke auch mehr und neue internationale Verpflichtungen erwachsen, um nur ein Beispiel zu nennen. Wir brauchen einen Vorstand, der die Mitgliedergewinnung ernst nimmt, und Sympathisantinnen und Sympathisanten gewinnt. Unsere Fraktion im Bundestag braucht eine starke neue linke Partei, eine Partei die von unten wächst und die handlungsfähig ist.

Liebe Genossinnen und Genossen, unsere Vizevorsitzenden Katja Kipping und Wolfgang Methling, kandidieren erneut und darüber bin ich wirklich sehr froh. Gleichermaßen möchte ich weiter mit Dietmar Bartsch zusammenarbeiten. Er hat in den vergangenen Monaten unter Hochdruck Vieles auf den Weg gebracht, was die Arbeitsfähigkeit unserer Partei verbessert hat. Karl Holluba bewirbt sich als Bundesschatzmeister. Mit ihm haben wir einen fachkompetenten, politisch sensiblen und im Umgang mit Finanzfragen sehr erfahrenen Menschen gewonnen, dem wir auch die neuen Fragen im Parteibildungsprozess beruhigt anvertrauen können. Wir können ihm unser Geld ruhig anvertrauen. Lasst mich an dieser Stelle Dagmar Enkelmann, die nicht mehr kandidiert, meinen aufrichtigen Dank sagen. Ihr kennt ihren großen Einsatz in den letzten drei Jahren - ich sage das jetzt als persönlichen Dank und werde es dann noch einmal vortragen, wenn der Parteitag uns beide entlastet hat. Da Dagmar nicht mehr zur Verfügung steht, habe ich nach Beratungen Katina Schubert als neue Vizevorsitzende vorgeschlagen. Das hat bei einigen Irritationen ausgelöst. Durch ihren Einsatz in den vergangenen drei Jahren - in der ad-hoc-Gruppe zur Agenda Sozial, im ersten Vorstand der EL, in der Strategiegruppe vor dem Potsdamer Parteitag, schließlich in der gemeinsamen Programmgruppe mit der WASG, um nur einiges zu nennen - hat Katina viel zur erfolgreichen Arbeit des Parteivorstandes beigetragen. Und verträgliche Übereinkommen mit Andersdenkenden - engagiert arbeitend - erzielt. Sie gehört zu denen, die mit ihren streitbaren politischen Auffassungen Mehrheitsentscheidungen anerkennen und vertreten. Sie ist alles andere als ein Strömungssignal, sie ist eine gute Wahl.

Liebe Genossinnen und Genossen, ich auch meine Meinung deutlich sagen: Es ist absurd, die Vorstandswahlen zu Richtungswahlen zwischen politischen Strömungen verkommen zu lassen. Damit verkennt man rasch die Aufgabe, vor der wir - aus allen Strömungen kommend - stehen: Die neuen Vorstandsmitglieder haben die Politikfähigkeit einer gesamtdeutschen linken Partei auf den Weg zu bringen. An Ergebnissen, an politischer Kenntlichkeit als Linkspartei.PDS und an erfolgreichen gemeinsamen Kampagnen und Wahlkämpfen, daran sollten wir uns messen. Ich stehe in jedem Fall zu den Klippen und für die großen Chancen des Parteineubildungsprozess und für einen Vorstand, der sich nicht nach Strömungsproporz sortiert, sondern nach Arbeitsfähigkeit, Arbeitseinsatz und nach Arbeitsergebnissen. Unser Beauftragter für den Parteibildungsprozess, Bodo Ramelow, braucht unser aller Unterstützung, denn jetzt geht es rasch ans Eingemachte, wie man so schön sagt. Helft ihm bitte, er braucht jetzt viel Unterstützung. Ich kandidiere für den Parteivorsitz, weil ich eine politikfähige gesamtdeutsche linke Partei mitgestalten kann und will, das ist wohl niemandem verborgen geblieben. Und ich akzeptiere auch die Mehrheitsentscheidung des Deutschen Bundestages, dass ich mich um meine Partei kümmern soll. Ich erwarte zugleich, dass der ganze Vorstand bei diesem Unterfangen von allen Mitgliedern unterstützt wird. Ich verhehle nicht, dass ich mir durchaus eine Verkürzung der Termine vorstellen kann, also die Parteibildung schon einige Monate vor Ende Juni 2007. Aber dafür wären vorher zwei Voraussetzungen nötig: Erstens haben wir einen Partner, mit dem ist alles abzustimmen und nicht einseitig zu verändern. Ich bin da eindeutig für Vertragstreue. Zum zweiten müssen qualifizierte Entwürfe für ein gemeinsames Programm und ein Statut sowie die politischen Schwerpunkte der Arbeit im ersten Jahr jedem Mitglied der Linkspartei.PDS vorliegen, damit in einer Urabstimmung aller Mitglieder entschieden wird und sie wissen, was für einer neuen linken Partei sie zustimmen. Da muss Klarheit sein, nicht dass wir alle Fragen erst später stellen. Daran werden wir uns bis zum Sommer 2007 halten oder ein paar Monate früher - falls unser Partner es auch will - aber auch nur dann.

Genossinnen und Genossen, wir tagen am Vorabend des 1. Mai und - wir tagen - ich möchte unbedingt daran erinnern - nachdem der Parteitag wieder mit einem Frauenplenum begonnen hat. Ich wünsche mir, dass von Halle die Signale einer wachsenden gesamtdeutschen Linken klar und laut genug ins Land getragen werden. Die neue Linke hat dauerhafte große Chancen, wenn sie sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus stark macht und für den kulturellen Dialog einsetzt. Wir unterstreichen dies mit einem Initiativantrag des Parteivorstandes an den Parteitag und ich bitte euch um die Zustimmung. Das liegt mir am Herzen. Die Rechtsextremisten sind unter uns, lasst euch nicht täuschen und nicht beruhigen. Man kann den Rechtsextremismus nicht verharmlosen und dies machen viele Menschen mit Zivilcourage auch nicht. Die neue Linke hat dauerhaft große Chancen, wenn sie Druck von Links gegen Sozialabbau und gegen Privatisierungszwang entfaltet und den konsequenten Weg einer friedlichen Außenpolitik ausbaut. Kämpfen wir energisch für einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland, für einen demokratischen Sozialstaat in Europa! Dazu gehört, zu kämpfen und zu feiern. Und so wünsche ich euch schon jetzt einen schönen 1. Mai auf den Straßen und Plätzen im ganzen Land!